„Wir müssen längerfristig denken“

GNZ-Gespräch mit Pia Horst zur Bürgermeisterwahl in Gelnhausen

GNZ: Frau Horst, welche Charaktereigenschaft zeichnet Sie aus? Und ist das aus Ihrer Sicht eher ein Vorteil oder ein Nachteil?

Pia Horst: Ich bin spontan und umgänglich, ein Mensch, der gerne auch lacht. Und das hat sich bislang immer bewährt.

Können Sie auch wütend sein? Und wenn ja, was bringt Sie auf die Palme?

Uneinsichtigkeit macht mich wütend. Und das Gefühl, dass man mich verhökern will. Wobei ich dann nicht unbedingt laut werde.

Ein Gefühl, das Sie gelegentlich auch in der Gelnhäuser Stadtpolitik beschleicht?

Beispielsweise wenn ein Stadtverordnetenvorsteher eine Stadtverordnetensitzung absagen will, weil er ein Schaulaufen der Bürgermeisterkandidaten befürchtet. Dann fühle ich mich und andere in den Rechten beschnitten. Ich brauche niemanden, der mich vor demokratischen Effekten schützt. Parlamentarier sind gewählt worden, um ihre Meinung zu sagen. Sollten Beiträge ausufern, kann der Vorsitzende immer noch einschreiten. Dafür gibt es ihn ja.

Welche Eigenschaften machen Sie zu einer guten Bürgermeisterin?

Das Wichtigste: Ich bin ordentlich und gut organisiert. Wer eine Verwaltung anführt, kann nicht einfach mal Fünfe gerade sein lassen. Sobald man für das Geld anderer Menschen verantwortlich ist, muss man sorgfältige Abwägungen treffen, Kosten und Nutzen berücksichtigen, sauber und gesetzeskonform arbeiten und transparent kommunizieren. Das heißt nicht, dass ich keine Kompromisse mache. Es ist wichtig, die zu finden, aber eben keine faulen.

Was mich ebenfalls für das Amt geeignet macht, ist meine Fürsorglichkeit. Mit geht es darum, alle Beteiligten bei Entscheidungen zu berücksichtigen, auf alle Argumente und Interessen zu schauen. Gebe ich hier etwas dazu, nehme ich es vielleicht woanders weg. Der Blick auf das Gesamte und die Vernetzung aller einzelnen Entscheidungen ist wichtig. Zugegeben, meine Familie sagt gelegentlich, dass ich etwas überbehütend sein kann. Aber eine Rathauschefin ist ja auch für alle Menschen in der Stadt da und nicht nur für einzelne Personen oder Gruppen.

Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber Ihren fünf Mitbewerbern?

Ganz klar meine fachliche Qualifikation. Ich habe bisher 27 Jahre in einer Kommune gearbeitet, mich mit Beschlussvorlagen, Wirtschafts- und Haushaltsplänen beschäftigt. In meiner Zusatzausbildung Betriebswirt Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie wurden spezielle Verwaltungsinhalte wie Satzungsrecht vermittelt. Keiner der weiteren Bewerber hat eine solche Anbindung an die Finanzen. Natürlich kann jeder – kurzsichtige – Einnahmen generieren. Das scheint leicht. Schwerer ist es, Geld nicht auszugeben.

Mit kurzsichtigen Einnahmen meinen Sie Steuererhöhungen?

Ja. In Gelnhausen geschieht dies oft aber sehr leichtherzig. 2022 wurden die Grundsteuern massiv erhöht, 2023 nicht gesenkt. Und das in einer Zeit, in der die Menschen überall mit Kostenexplosionen und der hohen Inflation konfrontiert sind. Denken Sie an die Energiepreise. Viele haben Sorge, wie es weitergehen soll. Da müssen wir doch alles tun, um die Belastungen nicht noch weiter zu erhöhen. Unsere Gewerbesteuern wurden im selben Zeitraum auf ein Rekordniveau angehoben. Und das auch noch rückwirkend zum 1. Januar 2022. So etwas ist pures Gift für Unternehmen. Und so etwas gibt es nur bei uns.

Sie kandidieren bereits zum zweiten Mal für das Bürgermeisteramt in Gelnhausen. Warum eigentlich?

Ganz einfach – ich möchte Gelnhausen in geordnete Bahnen bringen, mit meiner Expertise, meiner Erfahrung und mit meinem gesunden Menschenverstand. Ich bin mit den übrigen Fraktionen sehr gut vernetzt, kann Mehrheiten organisieren und sehe in einem engen Miteinander der politischen Gremien und einer starken Verwaltung das Band, das Gelnhausen so dringend benötigt.

Was können Sie sich vom aktuellen Rathauschef abschauen?

(überlegt lange) Er weiß sehr gut Bescheid über Stadtgeschichte – würden wir einen Kulturdezernenten suchen, wäre er die optimale Besetzung. Nur haben wir keinen Kulturdezernenten zu wählen, sondern einen Bürgermeister, der die Stadt von langen Baustellen befreit und Gelnhausen mit den Gremien zukunftsfähig führt.

Vielleicht frage ich lieber, was Sie grundlegend anders als der Amtsinhaber machen würden.

(antwortet sehr schnell) Einen anderen Umgang mit Mitarbeitern pflegen. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre hat die Verwaltung eine Abwanderung erlebt, wie es sie innerhalb von drei Jahrzehnten nicht gegeben hat. Es braucht ein anderes Arbeitsklima. Beschäftigte, die ständig überlegen müssen, was sie sagen dürfen, ohne dem Redeverbot des Bürgermeisters zuwiderzuhandeln, können nicht motiviert arbeiten. Und genau das braucht es, denn motivierte Verwaltungsmitarbeiter sind der Schlüssel für zufriedene Bürger.

Sie würden die Motivation der Mitarbeiter zu Ihrer Chefinnensache machen?

Das ist sie automatisch. Sollte ich erste Bürgermeisterin werden, wäre meine erste Amtshandlung, alle Mitarbeiter zu begrüßen, begonnen mit dem Betriebshof um 7 Uhr. An jedem folgenden Tag werde ich eine Kita besuchen, damit die Mitarbeiter wissen, dass sie wertgeschätzt werden und ich sie sehe. Doch die Wertschätzung darf nicht bei den Verwaltungsmitarbeitern aufhören.

An wen denken Sie da noch?

An ganz vorderer Stelle etwa an die Firmen. Ich habe kürzlich mit einem Unternehmer gesprochen, der jährlich fünf Millionen Gewerbesteuern zahlt. Der hat den aktuellen Bürgermeister noch nicht ein Mal gesehen. Stellen Sie sich vor, so ein Betrieb würde wegfallen. So viel Geld können wir gar nicht einsparen, egal, wie sehr wir die Kita-Gebühren erhöhen, wie viele Aufgaben und Stellen wir streichen müssten, ob wir den Betriebshof schließen oder das Freibad – wie in einer Nachbarstadt. Da braucht es offene Ohren und offene Türen, die Frage, was für Probleme bestehen und was wir als Stadt in unserem begrenzten Umfang tun können. Ich verstehe nicht, wie ein Bürgermeister, der aus der Wirtschaft kommt und Kommunikation studiert hat, das nicht mit oberster Priorität angeht.

Würden Sie weitere Schwerpunkte setzen?

Ja. Ganz Wichtig: Wir müssen ein Stadtentwicklungskonzept erarbeiten, und das zusammen mit allen Akteuren, etwa mit den Gewerbetreibenden. Die haben praktische Erfahrung und die müssen wir nutzen.

Ich will keine One-Woman-Show abziehen, im stillen Kämmerlein Pläne machen, um sie hinterher als große Vision zu verkaufen. Erst kommt das Konzept, dann die Vermarktung. Je mehr qualifizierte Partner bei der Entwicklung helfen, umso besser. Um das vorzubereiten, würde ich innerhalb der ersten 100 Tage meiner Amtszeit mit allen Abteilungsleitern, dem Magistrat und den Stadtverordneten in Klausur gehen.

Mit Übernachtung?

Ja. Und das nicht in einem Luxus-Hotel, sondern in einer günstigen Unterkunft wie einer Jugendherberge. Wir brauchen klare Ziele. Wir müssen wissen, wo wir in fünf oder zehn Jahren stehen wollen. Generell müssen wir eher längerfristig denken, als nur von einem Aufregerthema zum nächsten hetzen.

Denken Sie da an bestimmte Bereiche?

Wir brauchen einen Mehrjahresplan für Vereine, in dem wir klar festlegen, wann was gebraucht wird. Das gilt auch für die Investitionen und den Kulturbereich. Hat man den nicht, passiert jahrelang nichts, und dann, vor einer Wahl, erhält plötzlich der eine Verein oder die eine Interessengruppe den großen Zuschlag und andere gehen leer aus. So schafft man nur Unzufriedenheit.

Ein weiterer Schwerpunkt: Ich werde unmittelbar das Gespräch mit dem Gesamtelternbeirat suchen und vier Termine pro Jahr vereinbaren. Da hat die Verwaltung mit ihrer beabsichtigten Satzungsänderung die Eltern ohne Not verschreckt. Es wäre aus meiner Sicht viel sinnvoller gewesen, nach vorne zu blicken. Denn während wir uns über die Elternbeteiligung gestritten haben, hatte das Land schon die Gesetzeslage geändert und die Voraussetzung für die Bildung von Stadtelternbeiräten geschaffen. Darauf hätten wir von Anfang an unsere Anstrengungen richten müssen, ein Gremium, das für die Rechte von allen Kindern und Eltern in Gelnhausen eintritt, nicht nur für die in den städtischen Kitas.

Gibt es ein Thema, dass Ihnen in der politischen Diskussion bislang zu kurz gekommen ist?

Ja, beispielsweise der demografische Wandel. Der Altersdurchschnitt steigt, unsere Seniorenangebote wachsen aber nicht mit. Da müssen wir dringend nachbessern.

Warum treten Sie eigentlich ohne einen Wahlkampfslogan an?

Ich will keine Sprüche klopfen. Ich will mit meinem 20-jährigen kommunalpolitischen Engagement überzeugen.

Und wenn Sie dennoch einen Slogan wählen müssten?

Dann würde er heißen: „Jetzt aber richtig wählen.“ Dabei muss ich an die Fernsehsendung denken, in der es immer hieß: „Das wäre Ihr Preis gewesen.“

Haben Sie den Wahlkampf bis jetzt als fair erlebt?

Es gibt keine Angriffe unter der Gürtellinie. Aber: Zu einem fairen Wahlkampf gehört für mich, als Kandidat realistisch zu sein. Man kann nicht versprechen, die Stadthalle schnellstmöglich wiederzueröffnen. So etwas kann niemand versprechen. Zusagen ins Blaue zu machen disqualifiziert für das Bürgermeisteramt. Ich mache keine Zusage außer der: Jede Entscheidung wird auf den Prüfstein gestellt und argumentativ so aufbereitet, dass man ihr folgen kann. Und wenn Kompromisse erforderlich sind, werden sie als Kompromisse gekennzeichnet. Der Bürger darf nicht verschaukelt werden.

In den sozialen Medien wurden sie dafür kritisiert, über einen positiven Aujeszky-Befund bei einem im März erschossenen Wildschwein in Gelnhausen berichtet zu haben. Sie haben eine Warnung an Hundebesitzer ausgesprochen. Dabei wurden Ihnen Wahlkampfgetöse und Panikmache vorgeworfen.

Der Abschuss war im März, der Befund kam erst am 2. Mai zu uns, und ich habe ihn sofort weitergegeben – nicht als Bürgermeisterkandidatin, sondern als Vorsitzende der Jagdgenossenschaft Gelnhausen-Mitte. Die Aujeszkysche Krankheit, die von Schweinen und Wildschweinen verbreitet wird, verläuft für Katzen, Hunde und Nagetiere tödlich. Es war meine Pflicht und Fürsorge, den Befund mitzuteilen. Würden Tiere daran sterben und ich hätte nicht über die Gefahr informiert, würde man mich zu Recht kreuzigen. Ich habe aber von meiner Seite das Thema Jagd und die Wildschweinplage niemals im Wahlkampf thematisiert. Sie haben mich darauf angesprochen.

Bleiben wir beim Wahlkampf. Auf welche Formate haben Sie in diesem Jahr gesetzt?

Erfolgreich war mein Bürgerdialog mit dem Titel „Frag doch mal die Frau Horst“. Zudem haben wir eine Reihe kurzer Videos produziert, die auf der Webseite von „Gelnhausen plus“ zu sehen sind. Ich habe einen Flyer drucken lassen. Auf eine umfangreiche große Broschüre habe ich dieses Mal verzichtet. Bewusst. Ebenso wie auf eine große Plakatkampagne.

Um Papier zu sparen?

Auf jeden Fall. Mein Wahlkampf war sehr ökologisch. Ich habe die Gesamtzahl der Plakate auf 100 Stück begrenzt. Leute, die mir etwas von Nachhaltigkeit erzählen wollen und dann ganze Straßenzüge mit ihren Gesichtern zupflastern, kann ich nicht ernst nehmen.

Würden Sie sich noch einmal um das Amt bewerben?

Wenn ich gewählt werde und die Bürger mit mir zufrieden sind: auf jeden Fall. Die Frauen in meiner Familie sind alle bis ins hohe Alter fit geblieben. Die Gene stimmen also schon mal.

Wie werden Sie den Wahlsonntag verbringen?

Ich gehe als Erstes wählen und nehme mein 150-jähriges Recht auf freie Wahlen wahr. Dann verbringe ich den Rest des Tages mit Mann, eventuell den Stiefenkeln, Hunden und Ziegen in unserem Weinberg bis zur Auszählung.

Quellenangabe: Gelnhäuser Neue Zeitung vom 17.05.2023, Seite 21